Das Tragen von zeitgenössischem Schmuck kann über das Modische hinaus Originalität und Identität sichtbar machen oder einfach hervorheben. Dies alles erschließt sich nicht auf den ersten Blick, sondern ist eher Folge genaueren Hinsehens, leichter Berührung oder Bewegung. Understatement wird hier zum eigentlichen Luxus, erkannt nur vom Kenner. Dieser Schmuck fällt auf durch seine Unauffälligkeit, er verführt zum Spielen, zum Verändern, lässt geschmeidige Beweglichkeit erleben. Viele Deutungen machen seine spezielle Poesie aus. Schmuck ist gerade dann interessant, wenn er mit der Tradition bricht, wenn er überrascht oder provoziert, und Möglichkeiten eigener Interpretationen offenhält.
Das Bild der zeitgenössischen Schmuckgestaltung ist geprägt von Werkstätten und Ateliers, die ihren eigenen Weg gehen. Doch viel zu wenig gelingt es, eigene Kreationen, Trends oder Stile auf den Weg zu bringen. Die Präsenz einer Haltung oder eines Lebensgefühls über Phänomene unserer Zeit zu konkretisieren, benötigt in einer ohnehin überreizten Gesellschaft ungewöhnliche Formen, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Die Wahrnehmung von Lust und Originalität in der Gestaltung, könnte beispielsweise über Bilder, die von Fotografen mit vergleichbarem Anspruch der Gestaltung gemacht würden, intensiviert und gesteigert werden.
Für die Arbeit unter den heutigen Bedingungen halte ich den Begriff des „Kunsthandwerks“ nicht mehr für zeitgemäß. Auch in meiner Ausbildung habe ich traditionelles Handwerk gelernt und Design studiert. Das ist der Weg vieler GestalterInnen heute - und diesem Werdegang sollte auch in einem zeitgemäßen Begriff Rechnung getragen werden. „Kunsthandwerk“ ist eine historische Verbindung von „Kunst“ und „Handwerk“, die ideologisch bedingt, heute an Spannung verloren hat und durch die Vielfalt gestalterischer Konzepte des Design eine Möglichkeit unter vielen darstellt.
Auch zeitgenössische Kunst zeichnet sich durch Vielfalt und Widersprüche aus. Auf sie Bezug zu nehmen, bedeutet nach eigenen Kriterien und Vorlieben etwas auszuwählen und zu gestalten, was danach nicht mehr durch einen eher idealisierten Begriff des „Kunsthandwerklichen“ zu charakterisieren ist.
Viel reizvoller wäre es zu versuchen, die Widersprüche, die unsere Arbeit begleiten, die Grenzgänge zwischen Unikat und Serie, zwischen gestalterischen Aspekten und kommerziellen Vorgaben, zwischen Exzentrik und Understatement produktiv zu nutzen.
Die Haltung der Menschen, welche sich beispielsweise durch das individuelle Schmücken ausdrückt, hat letztendlich auch Konsequenzen in der Haltung zu anderen Phänomenen: Das Unbekannte kann spannend sein, das Experiment eröffnet neue Perspektiven, Auseinandersetzungen – sind sie auch oft von Anstrengungen begleitet - können unerwartete, faszinierende Folgen haben, wenn man bereit ist sich auf ungewöhnliche Konzepte einzulassen.
Viola Deuschle